Zwei Wochen China. Stadt und Land. Shanghai und Hefei. Alles neu, alles fremd, alles anders…
Nach 11 Stunden Flug hatte ich mich auf wesentlich strengere Einreisekontrollen im kommunistischen China eingestellt, muss aber feststellen, dass sich die Einreise als weniger kompliziert als beispielsweise in den USA gestaltet. Keine Pseudofragen nach beruflicher Expertise (ich muss immer noch schmunzeln, wenn ich daran zurückdenke, dass mich vor einigen Jahren ein US Homeland Security Officer gefragt hat, aus wie vielen Bit ein Byte besteht um meine IT Expertise zu überprüfen), einfach nur ein freundliches Lächeln und schon geht’s ans Gepäckband.
Dort erlebe ich dann zum ersten Mal China – obwohl ich in der ersten Reihe stehe, drängen sich ganz ungeniert 2 Chinesen vor mich und gefühlt kitzeln mich deren Kopfhaare in der Nase – so eng stehen wir zusammen. Ich lass’ sie einfach stehen…
Mit meinem Koffer geht’s dann nach draußen in Richtung Taxi-Stand und ich kann mich nur schwer den vielen „… better private taxi, fast, Sir…“ Anbietern erwehren. Während ich den ersten 10 Schreihälsen noch mit freundlichem „No, thank you“ begegne, bekommen die nächsten gefühlt 30 nur noch einen bitterbösen Blick als Antwort. Genug!
Mein Taxifahrer spricht kein Wort Englisch, ich habe zum Glück meine Hoteladresse auf Mandarin ausgedruckt und zeige sie ihm. Ich bin mir nicht sicher ob er lesen kann, er fährt mit seinem 5 cm langen, gelben Daumennagel immer wieder über die Adresse und fährt schließlich in Richtung City ab. Das Taxi ist ein alter VW Santana aus den 80igern, die Stoßdämpfer sind noch Originale. Bei jedem Schlagloch fährt’s mir ins Kreuz so dass ich am liebsten selbst das Steuer übernommen hätte.
Während es mich nun die nächsten 60 Minuten durchschüttelt ziehen unzählige Hochhäuser an uns vorbei, alle von der gleichen Bauart und offensichtlich von extrem schlechter Qualität. Graue Wohnblöcke, dicht gestaffelt – bei uns würde man sofort davon ausgehen, dass es sich hier um Brutstätten von Gewalt und Konflikten handeln würde. Scheint hier aber nicht der Fall zu sein, man sagt mir später, dass es für viele Chinesen ganz ok wäre so zu wohnen.
Die Monotonie der Fahrt wird immer wieder durch ein abgrundtiefes Rotzen von links vorne unterbrochen – meine Güte, wo holt er nur den ganzen Schleim her? Aber das wird mir hier in den kommenden Tagen noch des Öfteren begegnen… Fenster auf und raus damit, ich bin froh hinten rechts zu sitzen…
Vielleicht gilt es noch zu erwähnen dass es kein Radio im Wagen gab – aber dafür den Bordfunk. Ich hatte ja bereits erwähnt dass die Fahrt über eine volle Stunde ging, zwischendurch musste ich einfach mal kurz die Geräuschkulisse im Wagen mit meinem iPhone aufnehmen. Glaubt mir ja sonst keiner… also, Ton an und los…
Irgendwie geht auch diese Fahrt vorüber und nachdem mir die Stoßdämpfer des VW Santanas einen letzten Gruß ins Kreuz verpasst haben, reiche ich dem Taxifahrer einen großen Schein – und bekomme sofort ein „Thank you, Sir“ zu hören. Nix da, ich bin erstmal überrascht von der Dreistigkeit des Fahrers. Glaubt er allen Ernstes, dass ich 200% Trinkgeld gebe? Schließlich rückt er die Piepen raus, zieht nochmals kräftig die Nase hoch…Angekommen im Hotel, erlebe ich eine andere Facette Chinas, die ich so nicht erwartet hatte – die schamlose Ausrichtung auf’s Geld. Obwohl das Hotel mit 5***** Sternen deklariert ist, der Customer Service am Empfang verdient keinen einzigen Stern. Kein „…Hallo Sir, welcome to our hotel, we hope you had a pleasant trip…“, sondern schlichtweg die beiden folgenden Wörter „Name? Credit Card!“. Das ist auch alles was wir am Empfang austauschen, dann geht’s auch schon auf’s Zimmer. Schwere Mahagoni-Fake-Möbel, ein Hochflor-Teppichboden der die hohe Luftfeuchtigkeit und den Rauch 1000er Zigaretten permanent abgibt – und ein Blick auf unzählige Hochhäuser, alle von der gleichen Bauart, aber offensichtlich von schlechter Qualität. Man sagt mir später…
Abends gehe ich noch in den Shoppingkomplex gleich dem Hotel etwas essen, aber chinesische Küche wie ich sie aus Deutschland kenne ist alles andere als chinesische Küche vor Ort. Auf der Karte stehen „Marinated Chicken Feet“ und „Fried Frog“… – ah ja, und nun?
Ich bestelle irgendein Gericht mit Hühnerfleisch in dem ich mit dem Finger auf das laminierte Menü deute. Das Gericht auf dem Bild ist leider nicht mehr so richtig zu erkennen, denn entweder ist direkt beim Laminieren irgendeine Flüssigkeit ausgelaufen, oder aber das Bild ist eh aus dem Internet geklaut und die Qualität war nie besser. Ich bestelle also Huhn, in der naiven Annahme, dass ich ein Stückchen Hühnerbrustfilet serviert bekommen würde. Huhn bedeutet hier – einfach einen ganzen Gockel nehmen, wie wild und ohne System mit dem Beil darauf einhacken und dann alles (und zwar wirklich alles!) in den Topf.
Und so isst man das dann auch – einfach rein in den Mund, lange kauen und dann hoffen, dass man auch wirklich alle Knochensplitter in der Mundhöhle erspürt hat. Unter jedem Tisch steht auch praktischerweise ein Mülleimer, in den man dann einfach den Auswurf reinschmeißt. Wie es übrigens auch alle anderen Gäste am gleichen Tisch des Abends vorher schon gemacht haben. Ich riskiere immer wieder mal einen Blick in den Mülleimer und stelle erleichtert fest, dass die anderen Gäste auch nicht alles Fleisch vom Knochen wegbekommen haben.
Ich bin heute Abend die einzige „Lang-Nase“ im Restaurant was natürlich die Neugier der Bediensteten auf sich zieht.
Während ich verzweifelt an den Knochen nage, stehen die beiden Angestellten des Restaurants einen Meter von meinem Tisch entfernt und schauen mich an. Permanent. Stehen einfach da und glotzen auf mich. Ich glotze zurück – es ändert sich nichts, einfach nichts – also dann, bleibt halt stehen und glotzt. Mir doch egal. Irgendwann geht die eine Bedienung dann nach draußen um pseudomäßig die Außenscheibe zu putzen. Da mein Tisch aber direkt am Fenster steht stelle ich fest, dass dies natürlich nur ein Vorwand war, um noch näher an mich heranzukommen. Der eine glotzt frontal, die andere putzt gefühlt 50 cm neben meiner linken Schläfe die Scheibe. Ich beginne intuitiv schneller zu kauen…
Es ist mittlerweile 21:00 Uhr als ich das Restaurant verlasse – und mir einer der beiden Bewacher in voller Lautstärke dann noch ein „Good Morning“ hinterher brüllt. Ich antworte ebenfalls mit „Good Morning“ und mache mich auf den Rückweg. Geschmacklich war’s ok…
Aber das Essen sollte mich in den nächsten Tagen noch das eine oder andere Mal vor schwerwiegende Entscheidungen stellen.
Viele Geschäftsmeetings enden mit einem gemeinsamen Abendessen. Und zwar unmittelbar nach dem Workshop. Das bedeutet wir machen die Schlussreflektion gegen 17:30 Uhr und sitzen gefühlt um 17:32 am runden Tisch mit einer riesigen Drehscheibe in der Mitte. Alles wird geteilt – und da ich der einzige Neue (noch dazu aus Deutschland) bin, fühle ich mich ein wenig wie der Bremsgummi vom Glücksrad. Nur dass bei mir immer gestoppt wird. Sehr nett gemeint, aber irgendwie auch skurril, da hält eine undefinierbare „Köstlichkeit Asiens“ nach der nächsten und alle anderen acht Personen am Tisch schauen wie ich beherzt zugreife. Ich esse eine komplette Garnele mit sechs Beinen, Panzer und Schwanz; ich esse ein Chili-Gericht dass dermaßen scharf ist, dass ich mir den Mund mit einer Serviette abwische und aus Versehen damit auf die Wange komme – diese brannte noch 5 Minuten nach.
Vor allem mit dem Fleisch habe ich Probleme. Zuhause achten wir sehr auf „low fat“ – essen jedoch verhältnismäßig viel Fleisch. Aber hier – nur von Sehnen und Fett durchzogene Würfel, außen entweder glibberige Haut mit großen Poren oder eben alles am Knochen.
Nach dem 5. Stopp des Glückrads kommt mir die rettende Idee – ich werde selber zur Glücksfee Maren Gilser und übernehme fortan das Drehen des Rads in Eigenregie. Das ziehe ich dann auch den kompletten Abend so durch. So ein Zufall, wieder stoppt der Tofu-Topf vor mir. Aber obwohl ich immer noch der Meinung bin, dass Tofu einfach nach nichts schmeckt, trägt er mich doch durch den kompletten Abend. Danke Tofu!
An einem anderen Abend treffe ich in Shanghai einen Photographen aus Texas. Ein ziemlicher Kasten und nicht die hellste Kerze am Baum, denn er rät mir zu sensationellen Photo-Spots für die man nur illegal im Financial District über ein paar Zäune klettern muss. Klar, die chinesischen Security-Angestellten hätten ihn schon ein paar mal erwischt, aber das kann man eigentlich vergessen. Nach ein paar Minuten ziemlich flachem Photo-Small-Talk frage ich ihn, wo er hier essen geht. Wie schon erwähnt – ein ziemlicher Kasten, der muss wissen wo’s schmeckt. Er empfiehlt mir „Yang’s Dumplings“ – Handteller-große Maultaschen mit Hackfleischfüllung. Gleich um die Ecke. Ach ja, und pass auf, die Dinger sind innen mit Suppe gefüllt und super heiß. Klar!
Ich finde Yang’s gleich drei Straßen weiter und komme mit Englisch leider nicht weiter. Also, „Point It“ – mit dem Finger auf das große Bild über der Kasse und dann mit den Fingern die Anzahl. Ich bestelle 2 Dumplings mit Schweinehack und 2 mit Shrimps. Meine beiden Finger für die Zahl 2 sind der Zeige- und der Mittelfinger. Im Chinesischen bedeutet das aber 8. So sitze ich vor 16 Handteller-großen Maultaschen und bin dermaßen komplex, dass ich das mit der Suppenfüllung komplett ausblende. 2 Sekunden später wird’s warm am Oberschenkel – der Dumpling hat sich natürlich in Richtung Hose geöffnet. Ich rieche für den Rest des Abends nach Schweinehackfleischsuppe.
Ach ja, als ich von der Angestellten einen Sitzplatz an einem der engen Tische zugewiesen bekomme, zückt 2 Sekunden später mein Tischnachbar sofort das Handy und macht erstmal ein Portrait-Foto von mir. Und dann noch eins mit mir und den 16 Dumplings… und gefühlt haben 2.000 follower von ihm auf WeChat die beiden Bilder weitere 2 Sekunden später auf ihren Handys…Frühstück – das ist meine Zeit. Obwohl ich normalerweise kein großer Frühstücker bin – hier gilt es in China möglichst viele Kalorien für den verbleibenden Tag aufzunehmen. Wie Jan Frodeno nach den 180 km Radfahren. Pancakes, Baked Beans, Obst und Nudeln – so kann’s losgehen.
Da es heute in Shanghai 32° Celcius hatte, habe ich beschlossen mir einen Iced Coffee bei Costa zu gönnen. Mache ich ja normalerweise nie, aber heute war die Kombi mit Schwüle und Hitze einfach zu viel. Also, Bitteschön einen Iced Coffee wie alle anderen im Cafe. Als sie mich dann schwer verständlich nach „Americano“ fragt, sage ich „yes“ – ein wenig Milch kann nicht schaden. Ich verlasse Costa mit einem großen, siedend heißen Grande Americano Kaffee – es muss wohl ein Missverständnis gegeben haben… Reklamation macht keinen Sinn, wie soll ich ihr den Unterschied zwischen einem Eiskaffee und einem Cafe Americano erklären?
Bei uns auf dem Land weiß jedes Kind wie man einen Eiskaffee zubereitet – Filterkaffee, 2 Kugeln Vanilleeis von Schöller (man kann auch Fürst Pückler Art verwenden – muss aber da höllisch aufpassen, dass man auf keinen Fall den Erdbeerstreifen erwischt – Schoko geht zur Not noch) und oben Schlagsahne drauf. Ist das soooo schwer?
Oder dann gleich den „Banana Split“ – eine längliche Schale, die Banane der Länge nach hälften, abwechselnd Schoko- und Vanilleeis an den Rand, Schlagsahne oben drauf und dann die flüssige Schokosauce mit Schwung im Zick-Zack darauf verteilen. Oder den Schwarzwaldbecher…
Und die Eisdiele sollte „San Marco“, oder „San Danielle“, oder einfach nur „Gelato“ heißen.
„… Komm, wir gehen zum Gelato, Scharzwaldbecher essen…“. Innen läuft Gianna Nannini oder „Felicita“ von Albano und Romina Power, an den Stuhllehnen ist das Blattgold schon leicht abgeblättert und der blaue Stoff mit den weißen Punkten betrachtet sich schon seit Jahren im immer matter werdenden Spiegel an der Wand…
Aber wir sind thematisch abgeschweift…
Dieses Gerotze. Daran werde ich mich in 100 Jahren nicht gewöhnen können. Ob Mann, ob Frau, ob jung, ob alt – immer von ganz unten hochholen, dann im Mund formen, und dann raus damit. Wo man sich gerade befindet macht da keinen großen Unterschied. Ob im Park, auf der Straße – oder auch im ICE. Hey, ohne Witz, im Gang des ICE’s rotzt der auf den Boden, wischt kurz mit dem Schuh drüber und geht weiter.
Und die Nähe. Irgendwie sind mir die Chinesen gefühlt einfach immer irgendwie zu nah. Sei es in der U-Bahn, sei es wie oben beschrieben im Lokal, eigentlich immer.
Als ich mich gerade daran mache mein kleines Reisestativ aufzubauen und die Einstellungen für die Kamera anzupassen, wird’s gefühlt ein wenig warm an meiner linken Wange. Eine Szene wie für einen Film – ich drehe meinen Kopf ganz langsam nach links und habe keine 5cm entfernt einen neugierig schauenden Chinesen vor mir. Wir schauen uns in die Augen, dann drehe ich mich wieder Richtung Kamera und mein „Assistent“ tut es mir gleich. Also suchen wir gemeinsam nach der optimalen Kombination von ISO, Blende und Verschlusszeit. Als ich dann per Fernauslöser auslöse und das Photo auf dem Display erscheint, geht ein Lachen über sein Gesicht – er scheint mit meiner Arbeit einverstanden zu sein.
Solche Situationen passieren mir gefühlt ständig. Natürlich ist mir bewusst, dass Langnasen nun mal interessanter sind als viele der anderen 1,3 Milliarden Chinesen – aber hey, warum immer so nah? Außerdem muss es hier ein wenig Sextourismus geben. Ich bin kaum 5 Minuten in der Fußgängerzone unterwegs als ich schon wieder spüre, wie mir wieder jemand von hinten links gefühlt zu nahekommt. „Hello Sir, do you sexy massagiiiiii?“ – „No, thank you, no need sexy massagiiiii and no need iphone, and no need Rolex, just need my RUHE…“
Ich setze mich an den Rand da ich beobachten möchte, ob ich der Einzige bin der nach “sexy massagiiiii need” aussieht. Zum Glück werden massagiiiii’s so ziemlich allen Nicht-Chinesen angeboten – ich bin beruhigt.
Vielleicht noch eine letzte Anekdote zum Thema Nähe – ich stehe auf einem Platz in der Fußgängerzone und beobachte 2 Chinesinnen mit ihren „Riesen-Hunden“. Unglaublich, ich habe noch nie eine derart große Züchtung gesehen – oder liegt’s vielleicht daran, dass die Chinesinnen eher kleiner sind? Nun gut, einer der beiden Hunde entdeckt mich und kommt ganz nah ran. Klar, hat er sich sicherlich so abgeschaut. Ohne Witz, der Hund geht mir fast bis an den Bauchnabel. Ich habe keine Angst vor Hunden und verhalte mich ruhig – denn auf einen chinesischen Hunde-Tollwut-Biss habe ich ehrlich gesagt auch keinen Bock. Der Hund umkreist mich einmal rechtsrum, dann linksrum und bleibt direkt vor meinen Augen stehen, setzt an und macht einen Haufen direkt vor meinen Augen. Soviel zum Thema Nähe…
Wenn ich an dieser Stelle nochmals über den Text gehe – hey, das kommt ehrlich gesagt zu negativ rüber. Aber ich habe auch keine Lust das nochmals zu schreiben oder umzuformulieren. Daher gebietet es sich einfach auch an dieser Stelle ein paar positive Erfahrungen zu schilden.
Also meine Arbeitskollegen – durch die Bank freundliche, offene Gesellen die mit großem Interesse und viel Offenheit auf mich zugekommen sind. Auch wenn das Englisch der chinesischen Kollegen des Öfteren ein limitierender Faktor in der Konversation war – verstanden haben wir uns trotzdem bestens.
Auch zu sehen, wie in Shanghai Elektromobilität bereits gelebt wird – wow, keine knatternden und stinkenden Zweiräder mehr, einfach nur ein leises Summen. Auch erlebte ich Shanghai als äußerst saubere Stadt, die Parks und Plätze gepflegt, kein Müll auf der Straße.
Aber am besten schaut ihr Euch mal die komplette Bildergalerie an – vielleicht kommt’s dann noch ein wenig besser rüber.